„Zerstörer der Welten“: Die Reue der Atombomben-„Väter“

„Ich wurde der Tod, Zerstörer der Welten“ – ein Zitat aus der Bhagavad Gita, einer religiösen Hinduschrift – ist dem Physiker Julius Robert Oppenheimer laut eigenen Angaben durch den Kopf gegangen, als er am 16. Juli 1945 zum weltweit ersten Mal eine Atombombe explodieren gesehen hat. Dass die Welt nach dem „Trinity-Test“ nicht mehr dieselbe sein würde, war nicht nur Oppenheimer, einem der „Väter der Atombombe“, klar. Die Folgen sind bis heute signifikant.

Um 5.29.45 Uhr (Ortszeit) vor 80 Jahren explodierte in der US-amerikanischen Wüste nahe Alamogordo im Bundesstaat New Mexiko „The Gadget“ (dt.: „Die technische Spielerei“), eine Plutoniumimplosionsbombe. Am Mittwoch gedenken Gegnerinnen und Gegner der Atomkraft dieses geschichtsträchtigen Ereignisses.

Eine Gedenktafel soll auf dem Testgelände, der White Sands Missile Range, angebracht werden. „Wir erinnern uns und sagen: nie wieder“, so Atomwaffengegnerin Anne Pierce-Jones zum lokalen Sender KRQE. „Die Menschen wurden nicht informiert, es wurde nichts unternommen, um sie in Sicherheit zu bringen.“

 Religion

Religionsvertreter für weltweite Abrüstung

Folgen nicht bedacht

Radioaktiver Staub, so weiß man heute, ging in 46 US-Staaten, Kanada und Mexiko nieder. Gerade als vor zwei Jahren der oscarprämierte Film „Oppenheimer“ in die Kinos kam, häuften sich Berichte über gesundheitliche Spätfolgen bei Personen, die in der Nähe lebten und der Strahlung ausgesetzt waren. Bis 2043 will die US-Regierung die Altlast entfernen. Die Kosten dafür werden auf 640 Mrd. Dollar (548 Mrd. Euro) geschätzt.

AP „The Gadget“ wurde auf einen Turm in der Höhe von rund 30 Metern gehoben

Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941 und dem anschließenden Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg gab US-Präsident Franklin D. Roosevelt die Order, binnen weniger Wochen ein streng geheimes Forschungszentrum zu errichten. Ziel war es, den Deutschen bei der Entwicklung nuklearer Waffen zuvorzukommen. Oppenheimer wurde als einer der fähigsten theoretischen Physiker seiner Zeit angesehen und daher als wissenschaftlicher Leiter für das „Manhattan-Projekt“ zur Entwicklung einer Atomwaffe bestimmt.

Einstein warnte Roosevelt vor Fortschritten der Nazis

Vor einem kriegstechnischen Fortschritt der Nazis wurde Roosevelt bereits 1939 von dem heute wohl berühmtesten Physiker gewarnt – Albert Einstein. Auf Drängen seines Kollegen Leo Szilard riet Einstein dem amerikanischen Präsidenten in einem Brief, in die Kernforschung zu investieren, da die Nazis der Entwicklung einer Atombombe empfindlich nahekämen. Einstein und Szilard waren, genauso wie Oppenheimer und viele weitere mit der Atomphysik betraute Forschende, jüdischer Abstammung.

Bis zum Zeitpunkt der Zündung waren sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen – es waren unter anderen mit den Physikerinnen Leona Woods und Joan Hinton auch Frauen am Manhattan-Projekt beteiligt – nicht sicher, ob die Waffe funktioniert. Doch der Versuch war erfolgreich – zumindest im Sinne der Wissenschaft.

Public Domain Eine Pilzwolke stieg in den Himmel, die Druckwelle war auch weit über 100 Kilometer noch spürbar

Der Sprengstoff explodierte wie geplant innerhalb der Bombe in einer Hohlkugel. Er richtete sich nach innen (Implosion) und presste das radioaktive Plutonium so stark zusammen, dass es zu einer Kernspaltung kam. Die Konsequenz war ein zwölf Kilometer hoher Atompilz und eine spürbare Druckwelle bis in eine Entfernung von 160 Kilometern. Der Sand in der Explosionsumgebung schmolz wegen der Hitze zu grünlichem Glas, dem Trinitit, das nach dem „Trinity-Test“ benannt wurde.

Der Name „Trinity“ (dt.: „Dreifaltigkeit“) war Oppenheimers Idee. Auf Nachfrage des militärischen Leiters General Leslie Groves gab der philosophisch versierte Physiker an, er habe an ein Gedicht von John Donne gedacht, in dem es heißt: „Zerschlage mein Herz, dreifaltiger Gott.“

„Die meisten waren still“

„Wir wussten, die Welt würde nicht mehr dieselbe sein. Ein paar Leute lachten, ein paar weinten, die meisten waren still“, sagte Oppenheimer nach der Zündung. Und tatsächlich – wie politisch gesehen zu erwarten war – kam es nicht einmal ein Monat später, am 6. August 1945, zur militärischen Eskalation, obwohl einige Physiker US-Präsident Harry S. Truman, Roosevelts Nachfolger, gewarnt hatten – unter ihnen der Cornell-Professor Oswald C. Brewster. „Dieses Ding darf auf Erden nicht zugelassen werden“, schrieb er in einem Brief an das Weiße Haus. „Wir dürfen nicht das meistgehasste und meist gefürchtete Volk der Erde werden, wie gut unsere Absichten auch sein mögen.“

National Security Research Center Oppenheimer und Groves (Mitte) begutachten die Reste des Bombenturms des „Trinity-Tests“

Truman befahl dennoch, eine Uranbombe über der japanischen Stadt Hiroshima abzuwerfen, um das Land zur Kapitulation im Zweiten Weltkrieg zu zwingen. Zehntausende Menschen waren augenblicklich tot, 80 Prozent der Innenstadt waren zerstört, und ein Feuersturm verwüstete die Stadt. Hiroshima war die Stadt mit dem wichtigsten Militärstützpunkt in ganz Japan.

Bis heute keine Entschuldigung

Drei Tage später wiederholten sich diese Vorgänge in Nagasaki mit einer Plutoniumbombe. Alle Opfer im Umkreis von einem halben Kilometer des Abwurfortes waren sofort tot, sie starben an der enormen Hitze, die bis zu 4.000 Grad Celsius erreichte. Japan zählte 140.000 Tote bis Ende 1945 in Hiroshima und 70.000 in Nagasaki. Bis zu 300.000 Überlebende starben an den Langzeitfolgen. Seither wurde nie wieder eine derartige Bombe in einem Krieg eingesetzt, jedoch verfügen einige Länder bis heute über einsatzfähige Nuklearwaffen.

Keine Regierung der USA hat je eine offizielle Entschuldigung gegenüber den zivilen Opfern von Hiroshima und Nagasaki und ihren Angehörigen abgegeben. Auch General Groves zeigte nie Reue. Die Berichte aus Japan, wie viele Menschen tatsächlich zu Tode kamen, bezeichnete er als „Lügen und Propaganda“.

AP Heute weiß man, dass durch den „Trinity-Test“ radioaktiver Staub in 46 US-Staaten, Mexiko und Kanada niederging

Oppenheimer: „Blut an den Händen“

Anders sahen das jedoch etliche mehr oder weniger in das Projekt involvierte Physiker. Einstein, dessen Forschung Basis für das Verständnis der Funktionsweise einer Atombombe lieferte, reagierte auf den „Trinity-Test“ mit großer Sorge und Bedauern, obwohl er nicht direkt beteiligt gewesen war. Als er von Hiroshima hörte, gab er der Überlieferung zufolge nur ein „Oh weh“ von sich.

Noch im selben Jahr gründeten Einstein und Szilard das Notkomitee der Atomforscher. „Wenn ich gewusst hätte, dass es den Deutschen nicht gelingen würde, die Atombombe zu konstruieren, hätte ich mich von allem ferngehalten“, so Einstein rückblickend. Bis kurz vor seinem Tod nannte er den Brief an Roosevelt den großen Fehler seines Lebens.

Oppenheimer selbst haderte sein ganzes Leben lang mit seiner Rolle als „Vater der Atombombe“. Er verurteilte zwar den weiteren Einsatz von Nuklearbomben, nachdem er die Folgen von Hiroshima und Nagasaki gesehen hatte, er entschuldigte sich aber nie. In einem Gespräch, das laut der pulitzerprämierten Biografie „American Prometheus“ von Kai Bird und Martin J. Sherwin tatsächlich so stattgefunden hatte, vertraute Oppenheimer Truman im Weißen Haus an, das Gefühl von „Blut an den Händen“ zu haben. Für Truman hingegen war es „der größte Tag der Geschichte“.

vogl, ORF.at

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