Der Pilger trifft seinen Führer

Am Morgen des Samstag, den 11. September 1948, traf ich in Los Angeles ein, erschöpft von meiner langen Reise. Ich nahm die erste Gelegenheit seit vier Tagen wahr, mich zu baden und zu rasieren, und fuhr dann mit dem Bus hundert Meilen südwärts nach Encinitas, der kleinen Küstenstadt, in der Yogananda dem Gelesenen zufolge seine Einsiedelei hatte. Im Eifer des ersten literarischen Überfliegens war mir irgendwie entgangen, dass er eine weltweite Organisation gegründet hatte. Wahrscheinlich hatte ich diese Information unterbewusst wegen meiner althergebrachten Furcht vor religiösem Institutionalismus „verscheucht“. In meinem Kopf war diese kleine Meeresstrand-Eremitage alles, was von seiner Arbeit existierte.

Ich traf in Encinitas spät an diesem Nachmittag ein, zu müde, um mich sofort zur Einsiedelei weiterzubegeben. Ich stieg in einem Hotel ab und kollabierte nahezu auf meinem Bett, um dann rund um die Uhr zu schlafen. Am nächsten Morgen brach ich zur Einsiedelei der Gemeinschaft der Selbstverwirklichung auf, wobei ich vielleicht eine Meile lang an malerischen Gärten, die von den farbenprächtigsten Blumen überquollen, vorbeiging. Viele dieser Blumen waren neu für mich. Die Lebhaftigkeit ihrer Tönungen stellte einen kraftvollen Kontrast zu den mehr herkömmlichen Blumen an der Ostküste dar — einen Kontrast, der sich, wie ich noch zu entdecken hatte, auch auf zahlreiche andere Aspekte des Lebens an den beiden Küsten bezog.

Ich näherte mich der Einsiedelei mit bebendem Atem. Aus seinem Buch erinnerte ich mich, dass Yogananda einmal einen Heiligen besuchte, ohne vorher anzukündigen, dass er kommen werde. Er hatte das Dorf des Heiligen noch nicht erreicht gehabt, als dieser ihm schon entgegeneilte, um ihn willkommen zu heißen. Würde Yogananda auch wissen, dass ich kam? Und würde er mir auch entgegenkommen, um mich zu begrüßen?

Solches Glück war mir nicht beschieden. Ich betrat den Besitz durch ein attraktives Tor und sah zu beiden Seiten der Einfahrt einen exquisit gepflegten Garten — Bäume zur Rechten, ein weitausladender Rasen zur Linken. Ganz am Ende der Einfahrt stand ein liebliches, weiß verputztes Gebäude mit einem roten Firstdach. Ich stellte mir die Jünger dort still ein- und ausgehend vor, einfache Chöre singend, mit Gesichtern, die von innerem Frieden erzählten. (Wussten sie, dass ich kam?)

Ich läutete an der Eingangsglocke. Minuten später erschien eine sanftblickende ältere Dame.

„Kann ich ihnen behilflich sein?“ wollte sie höflich wissen.

„Ist Paramhansa Yoganada da?”

Meine Aussprache dieses ungewohnten Namens musste zu wünschen übrig gelassen haben. Der weiße Strandanzug, den ich trug, kennzeichnete mich noch weniger als den üblichen Besucher. Ich hatte fälschlicherweise angenommen, der weiße Strandanzug sei in Kalifornien durchaus adäquat, wie es in Miami oder Havanna der Fall war. Meine ungewöhnliche Erscheinung, verbunden mit der Tatsache, dass ich mit dem Namen Yoganandas nicht vertraut war, mussten mich als Handwerker irgendwelcher Art erscheinen haben lassen.

 Oh, sie sind gekommen, um nach dem Wasser zu sehen?“

 „Nein!“ Ich würgte es noch einmal heraus: „Ist Paramahansa Yogananda da?“

 „Wer? Oh, ja, ich verstehe. Nein, ich fürchte er ist über das Wochenende weg. Gibt es etwas, was ich für sie tun kann?“

 „Nun, ja. Nein. Ich meine, ich wollte ihn sehen.“

 „Er hält heute einen Vortrag in der Kirche in Hollywood.“

 „Ihr habt eine Kirche dort?“ Ich hatte mir immer vorgestellt, Hollywood bestehe aus nichts als Filmstudios. Mein Erstaunen musste meiner Empfangsdame unschicklich vorgekommen sein. Immerhin, warum sollten sie nicht eine Kirche in einer so großen Stadt wie Hollywood haben? Bald wurde mir klar, dass ich nicht die bestmögliche Erscheinung abgab.

 Nun, dachte ich, vielleicht schien alles tatsächlich etwas seltsam — mein Hereinplatzen und mein Verlangen, das Haupt der Organisation zu sprechen, und, ärger noch, dass ich mir nicht einmal bewusst war, dass er eine Organisation hatte. Meine Empfangsdame verhärtete sich etwas.

 „Ich möchte seinem Werk beitreten“, erklärte ich. „Ich möchte hier leben.“

 „Haben sie seine gedruckten Lektionen studiert?“ fragte sie meines Dafürhaltens etwas kühl.

 „Lektionen?“ gab ich blank wieder. „Ich wusste nicht, dass er Lektionen hatte, die zu studieren sind.“ Meine Situation schien sich von Minute zu Minute zu verdüstern.

 „Es gibt einen ganzen Kurs davon. Ich fürchte, sie können nicht beitreten“, setzte sie bestimmt fort, „bevor sie ihn nicht vollständig durchgearbeitet haben.“

 „Wie lange dauert das?“ Mein Herz bebte.

 „Vier Jahre etwa.“

 Vier Jahre! Das kam nicht in Frage! Wenn ich jetzt auf dieses Treffen zurückblicke, glaube ich, dass sie wahrscheinlich nur zügeln wollte, was ihr als meine absurde Annahme erscheinen musste; nämlich: ich hätte lediglich auf der Szene zu erscheinen, um mit Ausrufen wie „Du bist gekommen!“ freudig willkommen geheißen zu werden. Die Beitrittsvoraussetzungen waren in der Tat nicht so strikt, wie sie sie darstellte. Aber es ist üblich und auch ganz angepasst, dass die Ernsthaftigkeit eines spirituellen Aspiranten einer Prüfung unterzogen wird.

 Mir schien dies damals jedoch weniger angemessen zu sein. Erst später erfuhr ich, dass meine Gesprächspartnerin Schwester Gyanamata, Paramahansa Yoganandas fortgeschrittenste Jüngerin, gewesen war. Sie selbst hatte, wie es der „Zufall“ wollte, Jahre warten müssen, bis sie in die Eremitage ziehen konnte, da sie verheiratet gewesen war. Die bloße Aussicht auf eine Wartezeit musste ihr nicht gerade als harte Prüfung erschienen sein.

 Gut, reflektierte ich rebellisch, das war nicht Yoganandas Wahrspruch. Meine Enttäuschung unterdrückend wollte ich herausfinden, wie ich zur Hollywood-Kirche gelangen könnte. Schwester Gyanamata gab mir die Adresse und eine Telefonnummer. Bald war ich auf meinem Rückweg nach Los Angeles.

 Auf der Fahrt schwankte ich zwischen Anfällen hitziger Verstimmtheit (über ihre Anmaßung) und verzweifelten Gebeten für meine Aufnahme. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich etwas so unbedingt wollte. Ich konnte, ich durfte einfach nicht abgewiesen werden.

 An einem Punkt, als ich wieder an meine ältere Empfangsdame dachte und mein Verstand daran war, noch einmal in Verstimmung zu geraten, erinnerte ich mich plötzlich ihrer Augen. Sie waren sehr sanft gewesen — sogar weise, reflektierte ich mit einiger Überraschung. Bestimmt war da weit mehr, als mir bewusst geworden war. „Vergib mir“, betete ich, „mein ungerechtes Urteil über sie. Es war jedenfalls falsch von mir, unfreundlich über sie zu denken. Sie tat nur ihre Pflicht. Jetzt aber erkenne ich, dass sie eine große Seele ist. Vergib mir.“

 In mir schien plötzlich eine Wolke aufzusteigen. Ich wusste in meinem Herzen, dass ich aufgenommen war.

 In Los Angeles angekommen, deponierte ich meine Reisetasche in der Busstation und begab mich nach 4860 Sunset Boulevard, wo sich die Kirche befand. Es war etwa drei Uhr nachmittags. Der Morgengottesdienst war lange beendet und das Gebäude stand, abgesehen von einer kleinen Gruppe von Leuten, leer. Eine Dame, die hinter einem langen Tisch an der Hinterseite des Raumes saß, grüßte mich.

 „Was kann ich für sie tun?“

 Ich erklärte meine Mission.

 „Oh, ich fürchte, sie können ihn heute kaum sehen. Seine Zeit ist völlig ausgefüllt.“

 Ich wurde immer verzweifelter. „Wann kann ich ihn sehen?“

 Sie konsultierte ein kleines Buch auf dem Tisch vor ihr. „Seine Sprechstunden sind für die nächsten zweieinhalb Monate voll ausgebucht.“

 Zweieinhalb Monate! Zuerst wurde mir gesagt, dass ich mich ihm nicht vor vier Jahren anschließen könnte. Nun hieß es, dass ich ihn nicht einmal sehen konnte bis ...

 „Aber ich bin ausschließlich deswegen den ganzen Weg von New York hergekommen!“

 „Sind sie?“ lächelte sie einnehmend. „Wie haben sie von ihm gehört?“

 „Ich las vor wenigen Tagen seine Autobiographie.“

 „So kürzlich erst! Und sie sind - einfach so - hergekommen?“ Sie kühlte etwas ab. „Für gewöhnlich schreiben die Leute zuerst. Haben sie nicht geschrieben?“

 Zerknirscht gestand ich, dass ich nicht einmal daran gedacht hatte.

 „Nun, es tut mir leid, aber sie können ihn nicht vor zweieinhalb Monaten sehen. In der Zwischenzeit“, setzte sie etwas aufgewärmter fort, „können sie seine Lektionen studieren und die Gottesdienste hier besuchen.“

 Verdrossen schlenderte ich durch die Kirche und besah die Einrichtung, die Architektur und die Buntfenster. Es war eine attraktive Kapelle, groß genug, um über hundert Personen Platz zu bieten. Und einladend friedvoll. Ein ausgezeichneter Ort für stille Meditation, dachte ich. Aber mein eigenes Gemüt war kaum still oder meditativ. Es war in Aufruhr.

 „Du musst mich aufnehmen!“ betete ich. „Du musst! Das bedeutet mir mein ganzes Leben!“

 Zwei oder drei der Leute, die in der Kirche saßen, waren Mönche, deren Zuhause das Hauptquartier der Gemeinschaft der Selbstverwirklichung auf Mt. Washington, dem hügeligen Parkdistrikt von Los Angeles, war. Ich sprach einen von ihnen an. Sein Name war Norman. Groß und gut gebaut war er, seine Augen wild und offen. Er sprach etwas über ihren Lebensstil auf Mt. Washington und ihr Verhältnis als Jünger zu Paramahansa Yogananda. „Wir nennen ihn Meister“, sagte er mir. Aus „Autobiographie eines Yogi“ wusste ich, dass diese Anrede, die Yogananda auch in Ehrfurcht seinem eigenen guru gegenüber verwendete, Verehrung und nicht gemeine Unterwürfigkeit ausdrückte.

 Wie mich Normans Beschreibung von Mt. Washington einnahm. Ich musste einfach ein Teil dieses wunderbaren Lebens werden. Dort gehörte ich hin. Das war mein Zuhause.

 Norman wies auf zwei junge Männer, die still weiter hinten in der Kirche saßen.

 „Sie wollen auch eintreten“, bemerkte er.

 „Wie lange warten sie schon?“

 „Oh, nicht lange. Einige Monate.“

 Untröstlich wandelte ich einige Zeit weiter. Schließlich dämmerte mir — eine Eingebung! — , dass ich wahrscheinlich einfach noch nicht bereit war, und dass sich die Türen für mich aus diesem Grunde nicht öffneten. Wenn das so wäre, entschied ich mich, würde ich mich eben in den Hügeln nahe Hollywoods niederlassen, regelmäßig zu den Gottesdiensten kommen, die Lektionen studieren und — ich seufzte — warten. Wenn ich bereit wäre, würde es der Meister wissen und mich kommen lassen.

 Mit diesem Entschluss in meinen Gedanken und keiner kleinen Enttäuschung in meinem Herzen wendete ich mich zur Tür.

 Ohne Zweifel bedurfte ich dieser kleinen Lektion in Demut. Wahrscheinlich waren die Dinge für mich immer zu einfach gelaufen. Wahrscheinlich hatte ich zu viel Selbstvertrauen. Wie immer, in dem Moment, als ich den Gedanken, ich könnte in der Tat geistig noch nicht so weit sein, akzeptiert hatte, änderte sich die Situation auf dramatische Weise. Ich hatte die Tür erreicht, als die Sekretärin — später erfuhr ich ihren Namen: Mary Hammond — hinterrücks auf mich zutrat.

 „Da sie von so weither gekommen sind“, sagte sie, „werde ich Meister einfach fragen, ob er bereit ist, sie heute zu sehen.“

 Wenige Minuten später kam sie zurück.

 „Meister wird sie als Nächsten empfangen.“

 Kurz danach wurde ich in ein kleines Sitzungszimmer geleitet. Dort stand der Meister im Gespräch mit einem Jünger in weißem Gewand. Als der junge Mann zum Gehen bereit war, kniete er nieder, um die Füße des Meisters zu berühren. Das war, wie ich aus Yoganandas Buch wusste, eine traditionelle Geste der Verehrung unter Indern; sie wird den Eltern und anderen Älteren ebenso wie jemandes guru erwiesen. Einen Augenblick später waren Meister und ich allein.

 Welch große, leuchtende Augen grüßten mich nun! Welch mitfühlendes Lächeln! Niemals zuvor hatte ich solch göttliche Schönheit in einem menschlichen Gesicht gesehen. Der Meister setzte sich auf einen Sessel und bedeutete mir ein Sofa neben sich.

 „Was kann ich für dich tun?“ Zum dritten Mal an diesem Tage die gleichen, höflichen Worte. Aber wie bedeutungsschwanger diesmal!

 „Ich möchte Euer Jünger sein!“ Die Antwort quoll unwiderstehlich aus meinem Herzen. Niemals hatte ich erwartet, solche Worte einem menschlichen Wesen gegenüber zu äußern.

 Der Meister lächelte mild. Dann folgte eine ausführliche Unterredung, von langen Stilleperioden unterbrochen, während derer er seine Augen halb offen, halb geschlossen hielt — „aus mir lesend“, wie mir wohl bewusst war.

 Immer wieder betete ich verzweifelt in meinem Herzen: „Du musst mich nehmen! Ich weiß, dass du meine Gedanken kennst. Ich kann sie nicht ausdrücken; ich würde nur weinen. Aber du musst mich annehmen. Du musst!“

 Zu Beginn unserer Konversation hatte er gesagt: „Ich habe nur deswegen eingewilligt, dich zu sehen, weil mich die Göttliche Mutter dazu angeleitet hat. Ich möchte dich das wissen lassen. Nicht deswegen, weil du von so weither gekommen bist. Vor zwei Wochen ist eine Dame die ganze Strecke von Schweden hergeflogen, nachdem sie mein Buch gelesen hatte, aber ich wollte sie nicht sehen. Ich tue nur, was Gott mich tun lassen will.“ Er wiederholte: „Die Göttliche Mutter trug mir auf, dich zu empfangen.“

 „Die Göttliche Mutter“, auf diese Weise bezog er sich oft auf Gott, wie ich schon aus der Lektüre seines Buches wusste. Jene umfasste, wie er sagte, sowohl das männliche als auch das weibliche Prinzip.

 Es folgte eine Diskussion über meine Vergangenheit. Er schien von meinen Antworten und meiner Wahrhaftigkeit angetan. „Ich wusste das bereits“, merkte er einmal an, um darauf hinzuweisen, dass er mich nur auf die Probe stellen wollte, ob ich ihm wahrhaftig antwortete. Wieder eine lange Stille, während derer ich glühend um meine Annahme betete.

 „Ich nehme jetzt weniger Leute“, sagte er.

 Ich schluckte. War diese Bemerkung als Vorbereitung dafür gedacht, mich fallen zu lassen?

 Ich sagte ihm, dass ich für mich in einer Ehe oder einem weltlichen Leben nichts sehen könnte. „Ich bin sicher, dass es für viele Leute gut ist, aber für mich will ich es nicht.“

 Er schüttelte seinen Kopf. „Es ist für niemanden so gut, wie es die Leute glauben. Gott ist für jeden die einzige Antwort!“ Er setzte fort, mir einige Geschichten über Enttäuschungen, die er mitangesehen hatte, zu erzählen. Dann wieder Stille.

 Einmal in unserem Gespräch fragte er mich, wie mir sein Buch gefallen hätte.

 „Oh, es ist wunderbar!“

 „Das kommt daher, dass es meine Schwingungen enthält“, antwortete er schlicht.

 Schwingungen? Ich hatte niemals zuvor daran gedacht, dass Bücher „Schwingungen“ besitzen. Aber natürlich, ich hatte sein Buch fast lebendig in seiner Überzeugungskraft empfunden, nicht einfache Ideen, sondern neue Bewusstseinszustände.

 Widersinniger-, ja absurderweise fiel mir nun ein, dass er eher bereit wäre, mich anzunehmen, wenn er das Gefühl hätte, ich könnte für sein Werk von praktischem Nutzen sein. Und was konnte ich? Nur schreiben. Aber das war gewiss besser als nichts. Vielleicht hatte er ein Bedürfnis nach Leuten mit schriftstellerischen Fähigkeiten. Um meine Begabung zu demonstrieren, sagte ich:

 „Sir, ich fand mehrere unkorrekt verwendete Infinitive in Eurem Buch.“ Ein Zweiundzwanzigjähriger, literarisch ungeübt, aber schon ein angehender Schriftleiter! Ich bin niemals über diesen Fauxpas hinweggekommen! Aber Meister nahm es mit einem überraschten, dann humorvollen Lächeln. Das Motiv für meine Bemerkung war ihm offenkundig.

 Mehr Stille.

 Mehr Gebete.

 „In Ordnung“, sagte er schließlich. „Du hast gutes Karma. Du magst dich uns anschließen.“

 „Aber ich kann warten!“ stieß ich hervor — in der Hoffnung, er wollte mich nicht nur deswegen nehmen, weil ich noch keine andere Bleibe gefunden hatte.

 „Nein“, lächelte er. „Du hast gutes Karma, sonst würde ich dich nicht annehmen.“

 Dann blickte er mich mit alles durchdringender Liebe an und sagte: „Ich gebe dir meine bedingungslose Liebe.“

 Unsterbliches Versprechen! Nicht im entferntesten konnte ich damals schon die tiefe Bedeutung in diesen Worten erahnen.

 „Willst du mir deine bedingungslose Liebe geben?“

„Ja!“

 „Und willst du mir auch deinen bedingungslosen Gehorsam geben?“

 So verzweifelt mein Verlangen war, von ihm angenommen zu werden, wollte ich doch bis zum Äußersten ehrlich sein. „Angenommen“, fragte ich, „ich glaube einmal, dass Ihr unrecht habt?“

 „Ich werde nie etwas von dir verlangen“, entgegnete er feierlich, „was Gott mir nicht aufträgt.“ Er fuhr fort:

 „Als ich meinen Meister, Sri Yukteswar, traf, sagte er zu mir: ,Erlaube mir, dich zu disziplinieren.' ,Warum, Sir', wollte ich wissen. ,Weil am Anfang des geistigen Pfades', so antwortete er, ,der Wille von Launen und Phantastereien geleitet wird. So war meiner, bis ich meinen guru, Lahiri Mahasaya, traf. Erst als ich meinen Willen mit seinem von Weisheit geleiteten Willen in Einklang gebracht hatte, geschah es, dass ich wahre Freiheit fand. In gleicher Weise wirst du Freiheit erlangen, wenn du deinen Willen auf den meinen abstimmst. Aus der Eingebung von Launen und Phantastereien zu handeln ist nicht Freiheit, sondern Gebundenheit. Nur indem du Gottes Willen tust, kannst du wahrhaft frei werden.“

 „Ich verstehe,“ sagte ich völlig in Gedanken versunken. Dann versicherte ich aus vollem Herzen: „Ich gebe Euch meinen bedingungslosen Gehorsam!“

 Mein guru setzte fort: „Als ich meinen Meister traf, gab er mir seine bedingungslose Liebe, wie ich dir die meine gegeben habe. Er bat mich dann, ihn in gleicher Weise zu lieben, bedingungslos. Ich aber antwortete: ,Sir, was wäre, wenn ich Euch jemals geringer denn einen Christusgleichen Meister erachte? Könnte ich Euch noch auf die gleich Art lieben?' Mein Meister sah mich bestimmt an. ,Ich will deine Liebe nicht', sagte er. ,Sie stinkt!’“

 „Ich verstehe, Sir“, entgegnete ich. Er hatte mich im Herzen meiner größten Schwäche getroffen: intellektuellem Zweifel. Mit tief empfundenem Gefühl versicherte ich ihm abermals: „Ich gebe Euch meine bedingungslose Liebe!“

 Er fuhr fort, mir verschiedene Anweisungen zu geben.

 „Nun, dann komm, knie vor mir.“

 Ich tat es. Er ließ mich im Namen Gottes, Jesu Christi und unserer Linie von gurus die Gelübde der Jüngerschaft und Entsagung nachsprechen. Als nächstes legte er den Zeigefinger seiner rechten Hand auf meine Brust, über das Herz. Für wenigstens zwei Minuten vibrierte sein Arm fast violent. Unglaublich, von diesem Augenblick an war mein Bewusstsein in bestimmter, alles durchdringender Weise transformiert.

 Wie betäubt verließ ich sein Sprechzimmer. Norman umarmte mich liebevoll, als er von meiner Aufnahme hörte. Es war, um es bescheiden auszudrücken, für einen Jünger ungewöhnlich, so bald angenommen zu werden. Einige Augenblicke später kam Meister aus dem offenen Vorhang auf das Vortragspodium heraus. Er lächelte uns still an und sagte:

 „Wir haben einen neuen Bruder!“

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Aus: "The Path" von Swami Kriyananda, direkter
 Jünger Paramahansa Yoganandas